Langsam, nur sehr langsam schwappt ein Trend auch nach Europa herüber: das Tiny-House-Movement. Leben in Mikrohäusern ist in den USA schon längst zum absoluten Trend avanciert. Während sich hierzulande noch viele Fragen: “Warum um Gottes Willen soll ich denn in einer Gartenhütte wohnen?!” Ja – warum eigentlich? Und wie sehen diese “Gartenhütten” denn genau aus?
Ökologie – und die Ökologie des eigenen Lebens
Wenn hierzulande jemand zu zweit auf 300 Quadratmetern wohnt – ist das “luxuriös”. Und die Prachtvillen dieser Größenordnungen sind für viele (ja, wenn nicht sogar für die meisten) immer noch ein sehr erstrebenswertes Ziel. Der völlig überdimensionierte Wohnraum verschafft einem hierzulande schlicht Ansehen und Respekt. Die Amerikaner nennen so etwas einen “Show-off” – das etwas weniger schmeichelhafte deutsche Wort dafür lautet: Protzen. Einfach zeigen, dass man es kann, dass man sich Verschwendung leisten kann, und sie sogar richtiggehend braucht. Und dafür auch noch Beifall zu kriegen.
Natürlich macht so etwas weder ökologisch noch ökonomisch Sinn. Ökologisch schon einmal nicht, weil der Bau von Wohnraum in solcher Größe eine Menge Energie, Ressourcen und Baumaterialien verschlingt – und auch der Betrieb und die Heizung eines solchen Gebäudes viel mehr Ressourcen verbraucht und CO2, als das zwei Menschen eigentlich von Rechts wegen an Umweltverschmutzung zusteht. Und ökonomisch ist das schon gar nicht sinnvoll, weil diese Fläche kein vernünftiger Mensch zum Leben braucht – sie aber ständig bezahlt. Man könnte das Geld sicherlich besser anlegen – und davon mehr profitieren, oder möglicherweise sogar soziale Zwecke unterstützen (was für ein irrer Gedanke, ich weiß).
Denkt man das konsequent weiter, dann kommt man darauf, dass es wohl auch ökonomisch keinen Sinn macht, vierzig Jahre seines Lebens ein Einfamilienhaus abzubezahlen, nur “um etwas eigenes zu haben”. Wie viel Zeit, wie viele Arbeitsstunden, in denen wir das Geld verdienen müssen, wie viel Angst und Panik und Sorgen wegen laufender Kredite und immenser Schulden nehmen wir auf uns – nur um uns ein schnödes Dach über dem Kopf zu finanzieren? Haben wir mit unserem Leben nichts Besseres anzufangen?
Wir haben. Definitiv. Es ist uns nur noch nicht so ganz klar. Und es geht ja nicht, weil wir erst das Haus abbezahlen müssen. Hoffentlich kommt bald eine Erbschaft.
Die Beschränkung auf das Wesentliche
Wie viel Fläche brauche ich eigentlich, um zu leben? Kann ich Fläche nicht auch geschickter nützen, um insgesamt an Fläche zu sparen? Und: Muss ich tatsächlich mein Leben mit so vielen Dingen zumüllen, die ich – Hand aufs Herz – eigentlich gar nicht brauche? Was ist mir wirklich wichtig? Was fange ich mit meinem Leben an – wirklich nur wohnen?
Das sind die grundlegenden Fragen, die zur Entstehung des Tiny-House-Movements in den USA geführt haben. Oder vielmehr – die Antworten auf diese Fragen, die sich viele Menschen gaben. Das Ergebnis sind dann Häuser, die ganz erheblich geschrumpft sind. Im Extremfall haben die Single-Häuser oder Häuser für zwei Personen sogar nur noch 16 bis 20 Quadratmeter, manchmal sogar nur 12 Quadratmeter, wie die berühmten Tumbleweed-Houses von Jay Shafer. Diese Größe macht es möglich, sie sogar auf einen Anhänger zu packen – und quasi überall zu wohnen, wo man möchte. Ein reizvoller Gedanke.
Wenn man Häuser wie dieses betritt, wirken sie erstaunlich geräumig. Sie bieten eine unglaubliche Menge an Stauraum, ein gemütliches Bad, einen sehr wohnlichen Ess- und Wohnbereich, eine zweckmäßige Küche und einen kuscheligen Schlafbereich unter dem Dach. Das liegt daran, weil der vorhandene Platz wirklich optimal genutzt wurde – teilweise sehr pfiffig, wie etwa mit immensen Stauräumen unterhalb der Treppenstufen. Es ist irgendwie das, was Caravan- und Campingmobilhersteller allerhöchstens im äußersten Luxussegment schaffen, und selbst dort nicht wirklich. Abgesehen davon, dass diese Plastikwüsten ganz sicher für niemanden ein Traumhaus darstellen, noch nicht einmal im teilweise über 100.000 Euro teuren Luxussegment.
Und plötzlich kostet Wohnen kaum noch etwas
Interessant ist aber vor allem die folgende Perspektive: Tumbleweed-Houses sind, wenn man sie fertig kauft, für ihre geringe Größe zwar beinahe unverschämt teuer – man kann allerdings auch die Pläne beziehen, und das Haus hierzulande von einem Zimmererbetrieb bauen lassen. Insgesamt wird man inklusive aller benötigten Materialien bei sorgfältiger Auswahl wohl am Ende bei etwa 25 – 30.000 Euro für ein komplett ausgestattetes Zwei-Personen-Haus liegen. Wer selbst Hand anlegt, kommt wohl sogar noch deutlich günstiger.
Geradezu lächerlich nehmen sich dann die Betriebskosten aus: um ein gut gedämmtes Haus mit einer Gesamtgröße von 16 Quadratmetern zu heizen, braucht es wenig mehr als eine Kerze. Selbst die kleinsten handelsüblichen Holzöfen aus dem Baumarkt sind für diese Häuser bereits völlig überdimensioniert. Wer mag kann natürlich auch noch energetisch aufrüsten und mit Solarzellen auf dem Dach seine völlige energetische Unabhängigkeit erreichen – angesichts der minimalen Verbräuche lohnt ein solches Unterfangen wohl kaum noch. Mit minimaler Planung lässt sich aus dem Haus aber sogar problemlos ein Passivhaus machen.
Und schon ist man Fürst im eigenen, rustikal-schönen Zuhause, vielleicht mitten in einem lauschigen kleinen Garten, das wohl in den meisten Fällen schon von Anfang an bezahlt ist. Es ist alles da, was man braucht, wenn die Familie wächst, könnte man jederzeit noch anbauen, und man hat Betriebskosten, die kaum der Rede wert sind. Das beeinflusst die eigene finanzielle Situation und die eigenen finanzielle Freiheit ganz erheblich. Rechnen Sie einmal.
Ja, aber warum das alles?
Wir leisten uns Luxus-Wohnräume (dazu gehören auch Wohnungen mit 900 Euro Kaltmiete oder ähnliches), die unsere finanziellen Möglichkeiten und unsere Unabhängigkeit enorm einschränken. Nur um unser “Ansehen” als Besitzer nicht zu verlieren. Wir würden doch verlacht, wenn wir in so ein Mini-Haus ziehen. Das ist tatsächlich der Hauptgrund, den Menschen angeben, warum sie so nicht wohnen wollten. Echt traurig. Seid ihr auch so?
Streicht in Gedanken einfach einmal eure Miet- oder Kreditkosten – und versucht euch vorzustellen, wie euer Leben sich verändern würde. Könntet ihr dann vielleicht sogar nur halbtags arbeiten?
Die Single-Quote in Deutschland hat die 40-Prozent-Marke schon lang überschritten, die durchschnittliche Haushaltsgröße liegt bei gerade einmal etwas mehr als eins. Gleichzeitig steigen die Mieten, die Grundstückspreise und die Immobilienpreise nicht nur rund um die Ballungsgebiete schon beinahe ins Unermessliche (eine halbe Million für ein gar nicht so schönes Einfamilienhaus ist heute keine Seltenheit mehr). Sie können sich entweder damit abfinden – oder etwas dagegen tun. Die Leute beim Tiny-House-Movement haben sich für letzteres entschieden – und sind allesamt sehr glücklich damit.
Häuser, die kaum Kosten für Wohnen verursachen, schnell und leicht zu reinigen sind und komfortabel und überschaubar ausgerüstet sind, bieten eine Menge Vorteile, wenn man aufhört, alles mögliche horten zu müssen, und auch noch die Garage mit den nie benutzten Fitnessgeräten der Fernsehwerbung vom letzten Jahr zu bestücken. Es geht um Wohnen und Leben – und nicht darum, möglichst viel Kram anzusammeln. Das befreit ein ganzes Stück weit auch das eigene Leben.
Geht das denn so einfach?
In Deutschland muss man diese Frage ehrlicherweise mit Jein beantworten. Für jedes Haus – egal welcher Größe – wird in der Regel ein Bauplan benötigt, und die deutschen Bauordnungen schreiben immerhin bestimmte Mindestgrößen für Räume vor. Es braucht also einen findigen Architekten mit etwas Fingerspitzengefühl, der einen solchen Bauantrag durchbekommt. Unmöglich ist es aber nicht.
Die schönen Häuser auf Rädern darf man in Deutschland zwar problemlos mit einer Kurzzulassung auf der Straße transportieren, eine Einzelgenehmigung für den Dauerbetrieb könnte aber problematisch werden. Und da in Deutschland außerhalb der dafür ausgewiesenen Gebiete auch mit einem autarken Haus keinesfalls gewohnt werden darf, kann die Suche nach einem geeigneten Grundstück vielleicht etwas schwierig werden. Das Wohnen auf Campingplätzen wird ja von den Behörden auch so weit es möglich ist, bekämpft und mit Gesetzen in vielen Kommunen unmöglich gemacht.
Für alle diese Probleme gibt es mit etwas Geduld und Durchsetzungswillen aber durchaus Lösungen – und immerhin schaffen die Kommunen selbst oft genau die Lösungen, die sie gewöhnlichen Bürgern verbieten. So geschehen etwa im Falle der TU München, die Studenten, die auf dem Wohnungsmarkt der Stadt keine Chance hatten, kurzerhand in den von einem Professor der TU entworfenen microcompact-homes (m-ch) [microcompacthome.at] unterbrachte. Es geht also plötzlich durchaus, wenn der Amtsschimmel denn nur will.
Natürlich ist die Verbreitung eines solchen “Lebensstils” der Wirtschaft (und vor allem der Bauwirtschaft) im Ganzen nicht gerade förderlich, die ja immer auf hohem Konsum der einzelnen Bürger beruht. Mit viel Entgegenkommen wird man von offizieller Seite wohl nie rechnen dürfen, andererseits braucht einen das auch nicht allzu sehr zu stören. Es geht immerhin um die eigene Lebensqualität und die eigene Unabhängigkeit.
Am Anfang steht das Nachdenken
Wie bei allen neuen Entwicklungen steht am Anfang das Nachdenken – und vor allem die Frage: Was ist mir wichtig, und was brauche ich wirklich? Wer dieser Frage konsequent nachgeht, wird in vielen Bereichen seines Lebens auf erstaunliche Möglichkeiten stoßen, mehr Freiheit, mehr Selbstbestimmung und am Ende wesentlich mehr persönliche Sicherheit zu erlangen. Wir können auch unsere Wohnbedürfnisse hinterfragen, Wohnen einmal ganz neu denken – aus der Perspektive der echten Zweckmäßigkeit und der Notwendigkeit heraus: Tiny Houses sind völlig ausreichend. Schließlich geht es um unser eigenes Leben, unsere Möglichkeiten und Ziele, und um die Verwirklichung dessen, was wir selbst erreichen möchten. Es geht auch um ein Stück Freiheit – die Freiheit so zu leben wie es zweckmäßig und schön ist. Und so einfach und überschaubar wie möglich.